Heilsame Worte

Bibliotherapie

Die heilsame Kraft der Sprache

Interview mit Adrian Ritter, zitiert aus der schweizerischen Ärztezeitung: Der Trost der Worte

"Bibliotherapie nutzt die heilsame Kraft der Sprache, von Geschichten und Poesie. Literatur gibt einem die Möglichkeit, eine andere Perspektive kennenzulernen. Wenn ein Text einen packt, kommt man in einen «Flow», wie Psychologen das nennen. Ein Ratgeberbuch kann so etwas nicht schaffen. Sachliteratur vermittelt Wissen und vernachlässigt dabei das Erleben des Einzelnen. In einem literarischen Werk hingegen wird Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig erfahrbar, und das ist wichtig. 

Zudem spendet Literatur Trost. Das merkt man schon mit kleinen Kindern, die ein blutendes Knie haben: Die Mutter singt ein Lied oder erzählt eine Geschichte, und der Schmerz ist vergessen. Das hilft oft auch bei Erwachsenen: Man nimmt sich Zeit für sich und kann seine Leiden mittels Literatur spiegeln. Beim Lesen macht man etwas durch, ohne dass einem dabei etwas passiert. Das stärkt auch die Aufmerksamkeit. Insofern ist Bibliotherapie auch eine Form der Prävention, indem man nützliche Eigenschaften schult und sich selber besser kennenlernt."

Wie finden Sie für eine bestimmte Person das geeignete Buch? "Grundsätzlich gehe ich nach dem Lust-Prinzip vor: Ich liebe ein Buch, das mir für die Situation eines Klienten passend scheint und versuche die Person dafür zu begeistern, es zu lesen. Manchmal lese ich auch ein Gedicht vor und suche nach einer Resonanz. Ich frage die Klienten immer auch, was sie selber schon gelesen haben. Ich habe selber viel gelesen und diese Bücher nach Motiven und Themen systematisiert. Zudem gibt es das Buch «Romantherapie» von Ella Berthoud und Susan Elderkin. Darin sind 253 Bücher nach ihrer Wirkung aufgelistet."

Freude, Liebe und Hoffnung

Freude, Liebe und Hoffnung » Geduld, Innenschau und Stille »  Halt finden und sich getragen fühlen » Sterben, neu geboren und wachsen » Abschied, Trauer und Dank » Gefängnis und Befreiung

Gedichte zu Freude, Liebe und Hoffnung

Wage zu träumen - Margot Bickel

Wage zu träumen
von dir
und dem, was du nicht bist

Wage zu träumen
von dir
und dem, was du nicht hast

Wage zu träumen
von dir
wie du wirklich bist

Wage zu träumen
von dir
und nach dem Erwachen
verwasche nicht
dein traumhaft wahres
Gesicht 

Zum Sehen geboren - J.W. Goethe

Johann Wolfgang Goethe

Zum Sehen geboren,
zum Schauen bestellt,
dem Turme geschworen,
gefällt mir die Welt.

Ich blick in die Ferne,
ich seh in der Näh
den Mond und die Sterne,
den Wald und das Reh.

So seh ich in allen
die ewige Zier
und wie mirs gefallen
gefall ich auch mir.

Ihr glücklichen Augen
was ihr je gesehn,
es sei wie es wolle,
es war doch so schön!

Liebeslied - Rainer M. Rilke

Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
Hinheben über dich zu anderen Dingen?

Ach gerne möchte ich sie bei irgendetwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
An einer fremden stillen Stelle, die
Nicht weiterschwingt, wenn die Tiefen schwingen.

Doch alles​ was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.

Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süsses Lied.

Gleichgewicht - Hilde Domin

Wir gehen
jeder für sich
den schmalen Weg
über den Köpfen der Toten
- fast ohne Angst -

im Takt unseres Herzens,
als seien wir beschützt,
solange die Liebe
nicht aussetzt.

So gehen wir
zwischen Schmetterlingen und Vögeln
in staunendem Gleichgewicht
zu einem Morgen von Baumwipfeln
- grün, gold und blau - 

und zu dem Erwachen
der geliebten Augen.

 

Nicht müde werden - Hilde Domin

Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten

Das leere Grab - Kurt Marti

Ein Grab greift
tiefer
als die Gräber
gruben

Denn ungeheuer
ist der Vorsprung Tod

Am tiefsten
greift
das Grab das selbst
den Tod begrub

Denn ungeheuer
ist der Vorsprung Leben

Geduld, Innenschau und Stille

Freude, Liebe und Hoffnung » Geduld, Innenschau und Stille »  Halt finden und sich getragen fühlen » Sterben, neu geboren werden und wachsen » Abschied, Trauer und Dank » Gefängnis und Befreiung

Gedichte über Geduld, Innenschau und Stille

Über die Geduld - Rainer M. Rilke

Man muss den Dingen 
die eigene, stille ungestörte Entwicklung lassen, 
die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann, 
alles ist austragen – und  dann gebären… 

Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt 
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte. 
Er kommt doch! 

Aber er kommt nur zu den Geduldigen,  die da sind,
als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,  so sorglos, still und weit… 

Man muss Geduld haben mit dem Ungelösten im Herzen, 
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben, 
wie verschlossene Stuben,  und wie Bücher,
die in einer sehr fremden Sprache  geschrieben sind. 

 Es handelt sich darum, alles zu leben. 

Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich, 
ohne es zu merken, eines fremden Tages 
in die Antworten hinein. 

 

Anmerkung:  Diese Zeilen stammen aus einem Brief von Rainer Maria Rilke „an einen jungen Dichter“ (Franz Xaver Kappus), in dem sie eingestreut sind.  

Das Fasten ist ein Teil meines Wesens - Mahatma Grandi

Das Fasten ist ein Teil meines Wesens.
Ich kann auf es ebensowenig verzichten
wie auf meine Augen.

Was die Augen für die äussere Welt sind,
das ist das Fasten
für die innere.

Ersehnte Stille - Rainer M. Rilke

Wenn es nur einmal ganz stille wäre,
wenn das Zufällige und Ungefähre
verstummte und das nachbarliche Lachen,
wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen -:

Dann könnte ich in einem tausendfachen 
Gedanken bis an deinen Rand dich denken
und dich besitzen - nur ein Lächeln lang -
um dich an alles Leben zu verschenken
wie einen Dank.

Halt finden und sich getragen fühlen

Nur eine Rose als Stütze - Hilde Domin

Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft
unter den Akroben und Vögeln:
mein Bett auf dem Trapez des Gefühls
wie ein Nest im Wind
auf der äussersten Spitze des Zweigs.

Ich kaufe mir eine Decke aus der zartesten Wolle
der sanaftgescheitelten Schafe die
im Mondlicht
wie schimmernde Wolken
über die feste Erde ziehen.

Ich schliesse die Augen und hülle mich ein
in das Vlies der verlässlichen Tiere.
Ich will den Sand unter den kleinen Hufen spüren
und das Klicken des Riegels hören
der die Stalltür am Abend schliesst.

Aber ich liege in Vogelfedern, hoch ins Leere gewiegt.
Mir schwindelt. Ich schlafe nicht ein.
Meine Hand
greift nach einem Halt und findet
nur eine Rose als Stütze.

Von guten Mächten wunderbar geborgen - Dietrich Bonhoeffer

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.

Laß warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so laß uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen - Rainer M. Rilke

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn. 

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.

Was auch immer Du kannst, beginne es - Johann W. Goethe

In dem Augenblick,
in dem man sich endgültig
einer Aufgabe verschreibt,
bewegt sich die Vorsehung auch.


Alle möglichen Dinge,
die sonst nie geschehen wären,
geschehen, um einem zu helfen.

Ein ganzer Strom von Ereignissen
wird in Gang gesetzt durch die Entscheidung,
und er sorgt zu den eigenen Gunsten
für zahlreiche unvorhergesehene Zufälle,
Begegnungen und materielle Hilfen,
die sich kein Mensch vorher je so erträumt haben könnte.

Was immer Du kannst, beginne es.
Kühnheit trägt Genius, Macht und Magie.
Beginne jetzt.

Unsere tiefste Angst - Nelson Mandela

Unsere tiefste Angst ist es nicht,
ungenügend zu sein. 

Unsere tiefste Angst ist es,
dass wir über alle Maßen kraftvoll sind.
Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, 
das wir am meisten fürchten 

Wir fragen uns, wer bin ich denn,
um von mir zu glauben, dass ich brillant, 
großartig, begabt und einzigartig bin? 
Aber genau darum geht es,
warum solltest Du es nicht sein? 

Du bist ein Kind Gottes.
Dich klein zu machen nützt der Welt nicht.
Es zeugt nicht von Erleuchtung, dich zurückzunehmen,
nur damit sich andere Menschen um dich herum
nicht verunsichert fühlen. 

Wir alle sind aufgefordert, wie die Kinder zu strahlen. 
Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes,
die in uns liegt, auf die Welt zu bringen.
Sie ist nicht in einigen von uns,
sie ist in jedem. 

Und indem wir unser eigenes Licht scheinen lassen, 
geben wir anderen Menschen unbewusst die Erlaubnis, 
das Gleiche zu tun. 

Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind,
befreit unser Dasein automatisch die anderen.

Bitte - Hilde Domin

Wir werden eingetaucht
und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen,
wir werden durchnässt
bis auf die Herzhaut.

Der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
taugt nicht,
der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten,
der Wunsch, verschont zu bleiben,
taugt nicht.

Es taugt die Bitte,
dass bei Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe.
Dass die Frucht so bunt wie die Blüte sei,
dass noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden.

Und dass wir aus der Flut,
dass wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler
stets von neuem
zu uns selbst
entlassen 
werden.

Mit Haut und Haar - Ulla Hahn

Ich zog dich aus der Senke deiner Jahre
und tauchte dich in meinen Sommer ein
ich leckte dir die Hand und Haut und Haare
und schwor dir ewig mein und dein zu sein.

Du wendetest mich um. Du branntest mir dein Zeichen
mit sanftem Feuer in das dünne Fell.
Da liess ich von mir ab. Und schnell
begann ich vor mir selbst zurückzuweichen

und meinem Schwur. Anfangs blieb noch Erinnern
ein schöner Überrest der nach mir rief.
Da aber war ich schon in deinem Innern
vor mir verborgen. Du verbargest mich tief.

Bis ich ganz in dir aufgegangen war:
da spucktest du mich aus mit Haut und Haar.

Trauer in der Natur - Else Galen-Gube

Heute war ich an der Stätte,
wo ich oftmals mit dir ging,
wo dein Arm, der treue, starke
zärtlich meinen Hals umfing.

Damals blühten Sommerrosen,
heute peitscht der Sturm den Schnee,
und es starrt in eisger Decke
nun der waldumhegte See.

Unterm Strauche, wo im Lenze
Vöglein sich ihr Nest gebaut,
liegt jetzt tot ein bunter Sänger,
in der Kehle starb sein Laut.

Von dem Zauber dieser Stätte
welch ein wehmutvoller Rest! -
Seit du gingst, Geliebter, feiert
die Natur ihr Totenfest.

Abschied

Aber du kamst nie mit dem Abend -
Ich sass im Sternenmantel.

... Wenn es an mein Herz pochte,
war es mein eigenes Herz.

Das hängt nun an jedem Türpfosten,
auch an deiner Tür;

zwischen Farren verlöschende Feuerrose
im Braun der Guirlande.

Ich färbte dir den Himmel brombeer
mit meinem Herzblut.

Aber du kamst nie mit dem Abend -
... Ich stand in goldenen Schuhen.

Der Panther - Rainer M. Rilke

Im Jardin des Plantes, Paris 

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe 
so müd geworden, dass er nichts mehr hält. 
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe 
und hinter tausend Stäben keine Welt. 

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, 
der sich im allerkleinsten Kreise dreht, 
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, 
in der betäubt ein großer Wille steht. 

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille 
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, 
geht durch der Glieder angespannte Stille - 
und hört im Herzen auf zu sein. 

Die Befreiung - Maria Stona

Jetzt gibt es für uns keine Ferne mehr,
Du bist bei mir —
Ich bin bei dir,
Und wälzte sich herbei so brausend schwer
Das ganze Meer —
Uns beide kann nichts von einander jagen,
An meinem Herzen muss das deine schlagen.

So stehn wir beide auf des Lebens Höh,
Ich bin bei dir,
Du bist bei mir —
Und rings um uns verlöschen Lust und Weh;
Der Jahre Schnee
Kann reicher nur in unser Glück uns hüllen
Und unser letztes Sehnen ganz erfüllen.
Tief unter uns die Menschenwogen ziehn,

Du bist bei mir,
Ich bin bei dir,
Und über unserm Haupt so still dahin
Die Wolken fliehn...
Wie Licht und Schatten mählich stumm vergleiten,
Umschauert uns der Bann der Ewigkeiten.

Die Befreiung - Clara Müller-Jahnke

O du, den alle Sterne loben,
ich hab dich in des Nordsturms Toben
und in des Südwinds Hauch gesucht,
im unermessenen Wellenschoße,
im Purpurkelch der Junirose
und in des Herbstes reifer Frucht.

Ich suchte dich in Kirchenmauern
und trat mit ahnungsvollen Schauern
in deines Namens Heiligtum;
und als der Predigt Wort verklungen,
da sangen mir in tausend Zungen
ringsum die Steine deinen Ruhm.

Ich sah aus knospenden Gewalten
zur Fülle sich den Geist gestalten,
mit deines Geistes Kraft gepaart, -
ich sah am Leidenspfühl des Armen
die Liebe schweigend sich erbarmen
als Zeugin deiner Gegenwart.

Ich ahnte dich in blauen Weiten;
im wandellosen Gang der Zeiten
verfolg ich deiner Tritte Spur; -
und schritt ich bis ans Weltenende,
das Werk erschaut ich deiner Hände,
die Schöpfung deiner Allmacht nur!

Wer in des Lebens Buch gelesen,
ihn trifft ein Hauch von deinem Wesen,
aus jedem Worte, jedem Blatt
lehrt tiefe Weisheit alle Geister -
doch meine Seele rief den Meister,
der dieses Buch geschrieben hat . . .

Und schrie umsonst. Ihr zitternd Rufen
verhallte an den Altarstufen
der Gottheit, die mein Haupt gebar.
Da rang in Schmerz und Todesschauern
aus festgefügten Kerkermauern
der Selbstsucht sich mein Wesen klar.

Ich sah bis auf den Grund der Erde;
mein Ohr vernahm das ewige Werde
der Allbeseelerin Natur.
Und aufrecht schreit ich durch die Lande,
durch Glut und Sturm, den Fuß im Sande
und meine Stirne im Azur.